Wie problematisch sehen Sie den relativ freien Zugang zu Pornoseiten im Internet?
Mit weitgehend unkontrollierten Zugängen zum Internet haben Heranwachsende heute so früh wie nie zuvor Zugang zu Pornografie. Problematisch ist das vor allem für Kinder, deren Skripte von Sexualität sich abseits realer Erfahrungen mit Sexualität gerade erst herausbilden. Hier können die (porno-)typischen Darstellungen von Sexualität und Geschlechterrollen zumindest irritieren und verunsichern, wenn sie die Entwicklung zu einer selbstbestimmten, gleichberechtigten Sexualität der Geschlechter nicht sogar empfindlich stören.
Jugendliche begeben sich demgegenüber mit konkreten Erwartungen und Fragen in die Welt der Pornos – und kommen nicht selten mit Verunsicherungen und noch mehr Fragen zurück. Mit Blick auf die anstehenden eigenen ersten Erfahrungen mit Sexualität setzt sie das, was sie aus Pornos kennen, zuweilen auch unter Druck. Hier reicht oft schon der Abgleich mit dem eigenen Ich, der Blick in den Spiegel, der Gedanke an die eigenen Wünschen und so weiter.
Welchen Einfluss haben stark sexualisierte Inhalte auf Kinder und Jugendliche? Sind sie damit überfordert?
Bei der Frage von ‚Einflüssen‘ sollten wir immer drei Ebenen auseinanderhalten: Denken – Fühlen – Handeln. Auf der kognitiver Ebene kann mit dem Pornokonsum durchaus die Vorstellung einhergehen, eine auf den Faktor Lust reduzierte Sexualität im Allgemeinen und besondere Sexualpraktiken im Speziellen sind auch in der uns umgebenden Realität so weit verbreitet. Gerade junge Menschen mit noch fehlenden eigenen Erfahrungen im Bereich können hier ein schiefes Bild entwickeln.
Auf der Ebene der Emotionen beinhalten bereits Mainstreampornos Darstellungen, die Heranwachsende ekelig finden, Abscheu bei ihnen erzeugen. Längerfristig kann im Abgleich mit sexy Protagonisten von Pornos das Selbstwertgefühl sinken. Auch das Gefühl, den (vermeintlichen) sexuellen Wünschen anderer nicht entsprechen zu können, ist keine sonderlich angenehme Emotion, wenn man zum Beispiel das (vage) Gefühl hat, in einer Beziehung Dinge machen zu sollen, die man eigentlich gar nicht mag.
Auf Handlungsebene gibt es keine Wirkungen, sondern nur komplexe Wirkungszusammenhänge, die keine klaren Tendenzen erkennen lassen. Sicher probieren auch junge Menschen später mal aus, was ihnen schon im Porno gefallen hat. Ein Lernen am ‚Modell Porno‘ mit nachhaltiger Veränderung der persönlichen Vorstellungen und Skripte von Sexualität ist nicht unbedingt abwegig, aber höchst umstritten. Es gibt sogar Untersuchungen die zeigen, dass Menschen, die sich in der Jugend viele Pornos reingezogen haben, im Erwachsenenalter keine signifikant andere Sexualität in ihren Beziehungen leben als Menschen mit nur wenig Pornoerfahrung.
Welche Auswirkungen hat die oft unterwürfige Präsentation von Frauen in Pornos oder im Porno-Rap?
Das kommt immer darauf an, auf wen die medial repräsentierten Stereotype treffen. Problematisch wird es vor allem dann, wenn es bereits Analogien zum eigenen Leben gibt. Die Herabwürdigung von Frauen zum austauschbaren Sexobjekt kann aber auch einer klaren Abgrenzung zum Gesehenen und Gehörten dienen: „Nein, das will ich nicht!“
Beim Pornorap wissen wir aus Befragungen und Diskussionen, dass die weiblichen Fans hier keineswegs alle Frauen, sich als junge Frauen auch nicht selbst herabgewürdigt sehen, sondern ’nur‘ die so genannten „Bitches“, die es vielleicht nicht anders ‚verdient‘ haben. Das ist natürlich auch problematisch. Und damit läuft das Übel der repräsentierten Geschlechterverhältnisse freilich nicht komplett ins Leere. Aber die Mädchen selbst wollen natürlich später eher keine Bitches sein und werden entsprechenden Herabwürdigungen aus dem direkten Umfeld eher aktiv begegnen.
Inwiefern ist wirklich davon auszugehen, dass sich Jugendliche das Gesehene/Gehörte als Umgangsform annehmen? Welche Faktoren müssen dafür zusammenkommen?
Es gibt viele Faktoren. Einer ist es natürlich das (erlernte) Geschlecht. Die Umgangsweisen von Mädchen und Jungen mit Pornografie, mit Darstellungen von Sexualität insgesamt sind in aller Regel grundverschieden. Auch die inhaltlichen Vorlieben, die persönlichen Grenzziehungen. Wichtig ist nicht zuletzt das ‚Genrewissen‘: Wenn ich weiß, was ein Porno ist und weshalb er genau so gemacht wird, kann ich die Darstellungen besser einordnen – auch in ihrer Bedeutung für mein Leben.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind natürlich die eigenen Erfahrungen mit Sexualität. Nicht zuletzt wie die Eltern der Heranwachsenden miteinander umgehen – auch abseits des rein Sexuellen. Eine Rolle spielen noch die eigene Affinität zu Gewalt und Unterwerfung, zu Provokation und Einsatz drastischer Mittel im Geschlechterkampf, ein Habitus von Stärke und und und … Unterm Strich muss einiges zusammenkommen, damit sich ein junger Mensch im wirklichen Leben benimmt wie im Porno oder auf der maskulinen Bühne der Porno-Rapper. Und selbst dann bleibt noch die Frage, ob er sich ohne die medialen Inhalte nicht vielleicht ganz ähnlich benehmen würde.
Besteht wirklich eine Gefahr der Nachahmung oder unterschätzen wir die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen, das Gesehene einzuordnen und als nicht real einzustufen?
Als Erwachsene unterschätzen wir die Medienkompetenz Heranwachsender eigentlich immer. Zumindest sehen wir vor allem das, was sie alles noch nicht können – und machen schnell Gefährdungen aus. Grundsätzlich können ja bereits die Jüngsten ganz gut sehen, wir auch, dass im Porno tatsächlich Sex gemacht wird. Das ist ja schon auch ‚real‘, da muss man gar nicht erst mit dem gestiegenen Angebot an Amateurpornos im Internet kommen. Bereits im Grundschulalter wissen Heranwachsende, das Medien von Menschen gemacht sind. Bei Einstieg in die Welt der Pornos wissen sie auch schon, dass das Blut im Actionfilm nicht echt ist.
Die Gefahr des ‚Nachahmens‘ besteht mit Blick auf bestimmte Dispositionen bei den Heranwachsenden immer: „Macht mich an, probier ich auch mal!“. Eine wirkliche Gefahr, also ein Problem für unser Zusammenleben, besteht ja eigentlich nur dann, wenn das Ausprobierte nicht in Ordnung ist – gemessen an unseren Gesetzen, gesellschaftlichen Normen und Werten. Und gemessen am Erziehungsziel, was wir im Bereich der sexuellen Entwicklung ja an der eingangs bereits angesprochenen „selbstbestimmten, gleichberechtigten Sexualität der Geschlechter“ festmachen.
Wie sollten Eltern auf den Konsum von Pornos oder Porno-Rap bzw. eine selbst praktizierte sexuelle Freizügigkeit ihrer Kinder im Internet reagieren?
Wie reagiert jemand auf den Pornokonsum von jemanden, der mit ihm eigentlich nicht über Sex reden mag? Wir dürfen nicht vergessen, dass auch Pornos und Porno-Rap Mittel zur Provokation, zur Abgrenzung von den eigenen Eltern sein können – auch sexualisierte Selbstdarstellungen. Es ist natürlich nicht einfach, ohne erhobenen moralischen Zeigefinger dafür zu sensibilisieren, dass bestimmte Darstellungen, bestimmte Texte nicht in Ordnung gehen. Dann zeigen die Studien auch noch, dass sich der Pornokonsum vor allem männlicher Heranwachsender entgegen des eigentlichen Pornografieverbotes veralltäglicht hat. Man geht sogar davon aus, dass die Jugendlichen den Eltern unterstellen, davon zu wissen, es sich denken zu können, weil: „Ich bin doch ein ganz normaler Junge!“.
Bei einer selbst praktizierten sexuellen Freizügigkeit im Internet, also bei Facebook, WhatsApp, Instagram und wie sie alle heißen, können Eltern noch recht gut dafür sensibilisieren, dass das gepostete Foto auch in zehn Jahren noch im Netz ist. Auch dafür, dass es diese Plattformen jederzeit verlassen kann. Der Bereich der Pornografie ist demgegenüber zu nah an den oft noch schambehaftetem Bereich der eigenen Sexualität, der sexuellen Vorlieben usw. Hier sind weniger die Eltern, auch nicht Lehrer, sondern Sexualpädagogen gefragt, die in schulischen Veranstaltungen und in Mädchen- und Jungengruppen die Pornografieerfahrungen aufarbeiten und die Heranwachsenden für eine selbstbestimmte Sexualität stark machen.
Dr. Daniel Hajok ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler und Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM)