„Sehmotive, Wahrnehmung und Verarbeitung von aktuellen RealityTV-Formaten bei Heranwachsenden“

Ergebnisse und Veröffentlichungen zur RealityTV-Studie im Bereich Castingshows

 

Die Studie im Überblick
Auftraggeber: Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e. V. (FSF)
Durchführung: Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM) und FU Berlin, Arbeitsbereich Philosophie der Erziehung
Untersuchungszeitraum: Frühjahr 2009 bis Frühjahr 2011
Quantitative Befragung: Herbst 2009, Onlinebefragung von 1.165 12- bis 17-Jährigen und 1.484 18- bis 24-Jährigen (Vergleichsgruppe)
Qualitative Interviewerhebung: Sommer 2010, leitfadengestützte Intensivinterviews mit 36 Heranwachsenden zwischen 8 bis 15 Jahren

 

„Auf Augenhöhe?“


UVK Publikation Auf AugenhöheRechtzeitig zum Ende von „Die Super-Nanny“ liegen nun die Ergebnisse der AJKM-Studie zu Casting- und Coachingformaten vor. Zusammen mit weiteren Artikeln, die sich teils journalistisch mit weiteren Perspektiven auf Reality-TV und teils wissenschaftlich mit anderen aktuellen empirischen Befunden zu diesen Formaten auseinandersetzen, sind sie im Band „Auf Augenhöhe?“ im Verlag UVK erschienen.

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„Orientierung auf Augenhöhe“ – Was fangen Kinder und Jugendliche mit Castingshows an?

Nach wie vor sind Castingshows bei Kindern und Jugendlichen äußerst beliebt – und immer wieder sorgen sie für Kontroversen. Vor allem an „Deutschland sucht den Superstar“ und „Germany´s Next Topmodel“ erhitzen sich die Gemüter. Nicht nur Jugendmedienschützer, sondern auch Eltern und Pädagogen sind nach wie vor besorgt, dass diese Sendungen einen schlechten Einfluss auf Heranwachsende haben könnten. Eine aktuelle Studie liefert nun Hinweise, was Kinder und Jugendliche mit Castingshows anfangen und ob sie dadurch problematische Einstellungen übernehmen.

 

Konstruktive Kritik statt Beleidigungen gewünscht

In der Studie ging es u. a. um die Frage, wie Kinder und Jugendliche mit den Sprüchen von DSDS-Jurymitglied Dieter Bohlen umgehen. Hinsichtlich der befürchteten negativen Wirkungen kann zumindest vorsichtig Entwarnung gegeben werden. Denn für die häufig geäußerte Kritik, dass durch den inszenierten, hämischen und zynischen Umgang von Bohlen mit den DSDS-KandidatInnen den Kindern und Jugendlichen falsche Verhaltensmuster (antisoziales Verhalten) vermittelt würden, ließen sich keine bestätigenden Hinweise finden. Vielmehr gibt es Indizien dafür, dass gerade diese vermittelten Umgangsformen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem im Fernsehen Gezeigten führen: Viele der befragten Kinder und Jugendlichen äußerten deutliche Kritik am Verhalten von Dieter Bohlen. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die jungen ZuschauerInnen in erster Linie mit den KandidatInnen und eben nicht mit der Jury identifizieren: Sie sehen Castingshows gewissermaßen „auf Augenhöhe“ aus der Perspektive der KandidatInnen und stehen gerade in den Situationen, in denen die KandidatInnen von Dieter Bohlen mit negativen Sprüchen belegt und beleidigt werden, auf ihrer Seite.
In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass die jungen ZuschauerInnen DSDS mit zunehmendem Alter als einen inszenierten Wettbewerb wahrnehmen, bei dem es v.a. um eines geht: um Einschaltquoten. Gerade für ältere Jugendliche ist Bohlens Umgang mit den KandidatInnen ein wesentlicher Punkt, mit dem der Unterhaltungswert der Castingshow gesteigert wird. Kinder und jüngere Jugendliche sehen DSDS zwar als einen ‚echten‘ Wettbewerb an, dabei ist es ihnen aber wichtig, dass es fair zugeht. Vor allem sie stören sich an Bohlens Sprüchen gegenüber den KandidatInnen – selbst wenn sie die Sprüche oft lustig finden, ihnen die Kritik manchmal als berechtigt erscheint und sie Bohlen in aller Regel als Experten ansehen.

 

Betonte Körperwahrnehmung als Problem

Indizien für mögliche problematische Wirkungsweisen von Castingshows lassen sich dennoch finden. Sie liegen allerdings auf einer ganz anderen Ebene und sind stark vom Auftreten der meist jugendlich wirkenden KandidatInnen in Castingshows geprägt. Als Identifikationsfiguren, mit denen die jungen ZuschauerInnen mitfiebern, vermitteln sie mit ihrem Aussehen, Auftreten und modischen Outfit Ideale von ’schön sein‘ und ‚für andere attraktiv sein‘. Dass Castingshows hier Vorbilder präsentieren, könnte dann zum Problem werden, wenn in diesem Kontext fragwürdige Identitätsentwürfe wie ‚dünn sein‘ überbetont und zum Ideal für einen makellosen Körper stilisiert werden. Bei einigen der Zuschauerinnen von Germany’s Next Topmodel ließ sich beobachten: Der in der Sendung gesetzte und von Autorität Heidi Klum bestärkte Wert ‚Du musst dünn sein, um ein richtiges Model werden zu können!‘, wird nicht nur als attraktiv angesehen, sondern auch zum Ideal für den eigenen Körper stilisiert im Sinne von ‚Ich will dünn sein, um einen schönen Körper zu haben‘.
Weit weniger problematisch, aber dennoch von Bedeutung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, ist in diesem Zusammenhang auch die vergleichsweise unkritische Auseinandersetzung mit Mode, Stil und Vorlieben der KandidatInnen. In gewisser Weise gilt für die jungen ZuschauerInnen das als ‚up to date‘, was auf den Castingshow-Bühnen zu sehen ist. Insbesondere die persönlichen FavoritInnen repräsentieren keineswegs nur Können (Singen oder Modeln können), sondern in besonderem Maße auch Zeitgeist.

 

Leistungsorientiertes Handeln steht im Vordergrund

Ein eher überraschendes Ergebnis der Studie ist, dass klassische Leistungsprinzipien wie „Disziplin“, „Üben“, „sich verbessern“ (wollen) und „Kritik annehmen“ im Leben Heranwachsender eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Gerade wenn es um die Frage geht, wie sich erfolgreiches Handeln am besten gestalten lässt, stehen auffällig viele der befragten Castingshow-ZuschauerInnen solchen Werten positiv gegenüber, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Dabei grenzen die Heranwachsenden diese Leistungsprinzipien deutlich von ihrer Meinung nach negativen, weil unsozialen und egoistischen Praktiken wie Rücksichtslosigkeit oder Überheblichkeit ab.
Letztlich zeigt sich deutlich, dass Castingshows von den jungen ZuschauerInnen auch als Vorlagen für Erfolg versprechendes Handeln gesehen werden. Die von den KandidatInnen praktizierten und von den Jurymitgliedern positiv bestärken Umgangsweisen werden allerdings nicht eins zu eins übernommen. Der Abgleich erfolgt auf der Grundlage schon bestehender eigener Wertvorstellungen und der Gespräche in Familie und Freundeskreis. Thematisch geht es dabei sowohl um moralische Einstellungen über das richtige soziale Miteinander als auch um persönliche Vorstellungen über die eigene Rolle in der Gesellschaft.
Welche Bedeutung die im Fernsehen gezeigten Orientierungen in diesem Kontext haben, hängt dann nicht zuletzt auch davon ab, weshalb sich die Kinder und Jugendlichen Castingshows hauptsächlich ansehen: Geht es ihnen selbst ums Tanzen, Singen oder Modeln, wollen sie sehen, wie sich ihre Favoriten beweisen oder einfach ‚nur’ bei den Gesprächen auf dem Schulhof nicht ‚außen vor’ sein?

 
Verantwortlich: Dr. Daniel Hajok, Dr. Olaf Selg, Dr. Achim Hackenberg (AJKM)
Kontakt: info[at]akjm.de

 
Veröffentlichungen zur Studie:

 
Hajok, Daniel / Richter, Antje (2012): Deutschland sucht den Superstar – und morgen mich! Vom Zuschauen und dem Wunsch, selbst einmal berühmt zu werden. In: tv diskurs – Verantwortung in audiovisuellen Medien, Heft 59, S. 72-77. [Volltext]

Hajok, Daniel / Selg, Olaf (2012): Bohlens Sprüche, Klums Tipps: Der Umgang Heranwachsender mit Castingshow-Jurys. In: Daniel Hajok / Olaf Selg / Achim Hackenberg (Hrsg.), Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz: UVK, S. 101-114. [Infos]

Hackenberg, Achim / Hajok, Daniel (2012): Orientierung auf Augenhöhe? Der Blick junger Zuschauer auf die Castingshow-Kandidaten. In: Daniel Hajok / Olaf Selg / Achim Hackenberg (Hrsg.), Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz: UVK, S. 115-130. [Infos]

Hackenberg, Achim / Selg, Olaf (2012): Mehr als eine Live-Bühne – Castingshow-Formate als mediale Bedeutungsangebote für junge Zuschauer. In: Daniel Hajok / Olaf Selg / Achim Hackenberg (Hrsg.), Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz: UVK, S. 131-144. [Infos]

Hajok, Daniel / Richter, Antje (2012): Vorlage für Erfolg oder ›nur‹ nette Unterhaltung? Zwei individuelle Zugänge zu Castingshows. In: Daniel Hajok / Olaf Selg / Achim Hackenberg (Hrsg.), Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz: UVK, S. 145-160. [Infos]

Lauber, Achim (2012): Zuschauen ja, mitmachen nein – Wie Kinder und Jugendliche Coachingformate wahrnehmen. In: Daniel Hajok / Olaf Selg / Achim Hackenberg (Hrsg.), Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz: UVK, S. 209-222. [Infos]

Keilhauer, Jan (2012): Eine echte Autorität? Wie sich Heranwachsende die Erziehungsmodelle der Sendung „Die Super Nanny“ aneignen. In: Daniel Hajok / Olaf Selg / Achim Hackenberg (Hrsg.), Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz: UVK, S. 223-236. [Infos]

Würfel, Maren (2012): Chaos, Normalität und Ideal – Orientierungssuche zwischen dem eigenen Leben und den Problemfällen der Coachingformate. In: Daniel Hajok / Olaf Selg / Achim Hackenberg (Hrsg.), Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz: UVK, S. 237-250. [Infos]

Schleider, Karin / Argow, Gesa / Selg, Olaf (2012): Konzepte und Methoden der Elternbildung in der Coaching Sendung „Die Super Nanny“. In: Daniel Hajok / Olaf Selg / Achim Hackenberg (Hrsg.), Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz: UVK, S. 251-267. [Infos]

Hackenberg, Achim / Hajok, Daniel / Selg, Olaf (2011): Orientierung auf Augenhöhe. Nutzung und Aneignung von Castingshows durch Heranwachsende. In: JMS-Report, Heft 1/2011, S. 2-7. [Volltext]

Hackenberg, Achim / Hajok, Daniel / Selg, Olaf (2011): „Ohne Fleiß kein Preis“. Castingshows als mediales Orientierungsangebot Heranwachsender für erfolgreiches Handeln. In: merz – medien + erziehung, Heft 4/2011 [Infos]

Hackenberg, Achim / Hajok, Daniel / Selg, Olaf (2011): „Konstruktive Kritik ist in Ordnung, aber manche Sprüche müssen wirklich nicht sein.“ Wie Kinder und Jugendliche die DSDS-Jury wahrnehmen und den Umgang von Bohlen mit den KandidatInnen bewerten. Ergebnisse einer aktuellen Studie. In: BPjM-aktuell, Heft 2/2011, S. 17-22. [Volltext]

Hajok, Daniel & Würfel, Maren (2011): Realityfernsehen. Rückkopplung mit dem eigenen Leben. Interview zur Bedeutung von Castingshows und Coachingsendungen für Kinder und Jugendliche. In: tv diskurs – Verantwortung in audiovisuellen Medien, Heft 55, S. 65-69. [Volltext]

Hackenberg, Achim & Hajok, Daniel (2010): Castingshows und Coachingsendungen im Fernsehen: Eine Untersuchung zur Nutzung und Bewertung durch Jugendliche und junge Erwachsene. In: tv diskurs – Verantwortung in audiovisuellen Medien, Heft 51, S. 58-60. [Volltext]

Hajok, Daniel & Selg, Olaf (2010): Castingshows im Urteil ihrer Nutzer. In: tv diskurs – Verantwortung in audiovisuellen Medien, Heft 51, S. 61-65. [Volltext]

Lauber, Achim & Würfel, Maren (2010): Coachingsendungen im Urteil ihrer Nutzer. In: tv diskurs – Verantwortung in audiovisuellen Medien, Heft 51, S. 66-71. [Volltext]

 

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